Denkmale in der Klimakrise?
Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz informiert sich für Quartierssanierung
von Diana Wetzestein
Die Forderung nach einer konsequenten Energiewende ist stärker als je zuvor. Kaum ein Gegenargument kann dem Ruf nach rascherem Ausbau erneuerbarer Energien standhalten. Für viele ländliche Räume, in denen ein hoher Baudenkmalbestand vor allem durch Fachwerk-Bauten besteht, stellt sich aber die Frage: Wieviel Energiewende halten Fachwerkorte aus?
8. März 2022_Eschwege. Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz (DNK) mit Sitz in Berlin geht dieser Frage nach. Die Mitglieder der DNK-Arbeitsgruppe "Fachliche Fragen in der Denkmalpflege" verlegten ihre Frühjahrssitzung ins nordhessische Eschwege, weil es dort ein KfW-gefördertes Projekt gibt, in dem die Zusammenarbeit zwischen der Denkmalpflege und einem professionellem Sanierungsmanagement, der Quartierssanierung im Werra-Meißner-Kreis (QS), beispielhaft und neu ist. Kostenfrei werden Beratungsleistungen bei der energetischen Sanierung und Modernisierung von Fachwerkgebäuden angeboten. Und dies in sechs Quartieren gleichzeitig und in Abstimmung mit der amtlichen Denkmalpflege. Beinahe 90 Prozent der Gebäude innerhalb der Quartiersgrenzen stehen unter Denkmalschutz.
Bürgermeister Alexander Heppe begrüßte die 16 Mitglieder der Expertengruppe um die Vorsitzende Prof. Dr. Ulrike Plate, Abteilungsdirektorin im Landesamt für Denkmalpflege Baden-Württemberg. Gemeinsam mit Annegret Franz, Holger Schülbe und Werner Jäschke vom QS-Team sowie Denkmalpfleger Roman Läsker stellten sie einige Fälle in der Eschweger Altstadt vor, an denen deutlich wurde, "dass Denkmalschutz und Klimaschutz keinen Widerspruch bedeuten, sondern gemeinsam gedacht werden können", wie Bürgermeister Heppe betonte.
Das QS-Team verfügt über fachliche Kompetenz in den Bereichen Bau- und Gebäudetechnik, Klimaschutz, Energieeffizienz und Förderung. Gemeinsam mit den Denkmalbehörden suchen sie aktiv nach denkmalgerechten Lösungen, die zeitgemäß sind. An einer Stelle war das eine geeignete Isolierglasscheibe mit ausreichender Dämmleistung, die schon bald eine Schaufensterfront im Design des Art Decó (1920 bis 1940er Jahre) energetisch ertüchtigen soll. "Wir haben hier ein neues Vakuum-Isolierglas mit einem U-Wert (Wärmedurchgangskoeffizient) von 0,7 W/(m²K) bei einer Stärke von nur elf Millimetern gefunden und uns beim Hersteller direkt informiert, ob das, was beworben wird, auch praktisch funktioniert", erklärte Jäschke.
Auch die Muster roter Solardachziegel, deren Aussehen die Dachlandschaft in denkmalgeschützten Bereichen nur geringfügig stören würde, kamen auf diese Weise nach Eschwege und könnten schon bald auch dort verbaut werden. Der Hersteller wirbt mit Sicherheit durch Niederspannungsbetrieb, Langlebigkeit sowie Einsatzmöglichkeiten auf der gesamten Dachfläche, insbesondere auf Denkmalen. Bis zu 70 Prozent des durchschnittlichen Strombedarfs eines Einfamilienhauses sollen damit bereits produziert werden können.
Das Thema Solaranlage treibt alle Denkmalbehörden um. Der für den Werra-Meißner-Kreis zuständige Denkmalpfleger Läsker berichtete, das Hessische Landesamt für Denkmalpflege in Marburg erarbeite gerade eine Art Leitfaden für den Umgang mit PV-Anlagen. "Die Genehmigung einer Photovoltaik-Anlage innerhalb der Altstadt ist stets eine Einzelfallentscheidung und bislang eher die Ausnahme", sagte Läsker. Dies könnte sich unter dem Druck, mehr Sonnenstrom zu erzeugen, ändern. "Unsere AG begrüßt Überlegungen und Bemühungen zur denkmalgerechten Integration von Solarthermie und Photovoltaik in Dachlandschaften", so Professorin Plate dazu. Dennoch müsse jeder Installation in denkmalgeschützten Bereichen eine Genehmigung durch die Denkmalschutzbehörde vorangehen,auch wenn diese in Zukunft vielleicht eher die Regel, als die Ausnahme darstelle.
Das Fachwerk Musterhauses in Wanfried stand anschließend auf dem Tourenplan. Dort konnte Bürgermeister Wilhelm Gebhard gemeinsam mit dem Bürgergruppensprecher Jürgen Rödiger über die Erfolge der ehrenamtlichen Vermarktung leerstehender Fachwerkgebäude sowie die praktische Funktion von Bauberatung im Fachwerk-Musterhaus Wohnen berichten. Das Fachwerkhaus, Baujahr 1730, wurde mit ökologischen Baustoffen energetisch und modern saniert. Die Bürgergruppe klärt über diese Bautechniken auf und vermittelt neben den Häusern auch Fachleute aus ihrem Netzwerk, zu dem auch die Denkmalpflege zählt. Aufgrund dieser Arbeit konnte auch eine leerstehende historische Hofreite in der Altstadt einen Käufer finden und soll ein Mehrgenerationenwohnhaus mit Kulturscheune werden, wo bestenfalls mehr Energie erzeugt als verbraucht wird.
Dr. Ulrike Wendland, Leiterin der Geschäftsstelle des DNK bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien in Berlin, nannte den Beratungsservice der Quartierssanierung vorbildlich, weil es eine empfindliche Lücke an niedrigschwelliger Beratungsleistung im Vorfeld von Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen schließe. "Dadurch kann man auch die denkmalpflegerischen Aspekte gleich mitdenken, wie hier bei der Modernisierung und energetischen Optimierung, der Integration von Solaranlagen und anderen technischen Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien", so Wendland. Aus der AG Fachliche Fragen, deren Mitglieder aus allen Richtungen Deutschlands angereist waren, wurde die aktive Zielsetzung der Stadtpolitik, Denkmale nicht nur zu erhalten, sondern sie zu modernisieren, wieder nutzbar und damit zukunftsfähig zu machen, gelobt. Dies sei nicht nur aus kulturellen Gründen eine gute Strategie, sondern schone auch wertvolle Ressourcen und diene damit letztlich auch dem Klimaschutz.
Mit einer Veranstaltung im Alten E-Werk in Eschwege, an der etwa 50 vor Ort und über 120 Gäste online teilnahmen, endet dieser Tag. Mehr Tempo bei der Energiewende forderten sowohl Dr. Rainer Wallmann, Erster Kreisbeigeordneter und QS-Projektleiter wie auch Armin Raatz, KEEA GmbH, aus Sicht der Begleitforschung des KfW-Programms 432.
Der Fachvortrag von Martin Horsten, Stadtkonservator und Leiter der Denkmalschutzbehörde in Wiesbaden, stellte die Arbeit des Denkmalschutzes als Ganzes in den Kontext der Klimaanpassung und Energiewende. Horsten betonte, dass zahlreiche Kommunen inzwischen ein recht umfangreiches Instrumentarium zur Unterstützung der Denkmaleigentümer:innen geschaffen hätten und Lösungen fänden, die denkmalverträglich machbar seien. Die Klimaschutzarbeit des Denkmalschutzes gehe außerdem schon lange über die energetische Sanierung hinaus. Die Vorgärten, Parks, Alleen oder Wandgärten aus der Zeit um 1900 zu erhalten oder zurückzugewinnen, gehöre ebenso zur energetischen und klimaschützenden Gesamtbilanzierung, wie die Berücksichtigung der Grauen Energie im Gebäudebestand und sagte abschließend: "Denkmalschutz und Denkmalpflege schützen nicht nur kulturelles Erbe, sondern auch die Umwelt und das Klima."
Info: Machma Machma Kassel und das MedienWerk Eschwege haben die Veranstaltung medial begleitet: youtu.be
Zusatzinformation
Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz wurde 1973 eingerichtet, um Empfehlungen für die Denkmalschutz-Charta des Europarates im Denkmalschutzjahr 1975 zu erarbeiten. Das DNK ist eine Plattform für die in Denkmalschutz und Denkmalpflege aktiven Organisationen auf Bundesebene. In seinen Arbeitsgruppen tauschen sich Sachverständige zu den Themen Denkmalschutz und Denkmalpflege aus, erarbeiten Appelle und Empfehlungen, kommentieren und begleiten aktuelle Rechtsnormgebungen sowie die Rechtsprechung. Als fachliches und politisches Gremium beeinflusst es die Denkmalpolitik in Deutschland, ist Schnittstelle zwischen Fachebene, Regierung und Verwaltung. 2018 richtete das DNK das Europäische Kulturerbejahr in Deutschland aus. Mit der jährlichen Auslobung des Deutschen Preises für Denkmalschutz wirbt es gesamtgesellschaftlich für die Belange und die Akzeptanz des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege in Deutschland.